Gesprächiges Schweigen

Barbara Honigmanns "Ein Kapitel aus meinem Leben" - biografische Linien mit Interruptionen

Von Evelyne von BeymeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Evelyne von Beyme

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hinter dem scheinbar auf die Schriftstellerin rekurrierenden Titel "Ein Kapitel aus meinem Leben" versteckt sich eine Anspielung auf ihre Mutter Litzy. Sie steht für einen enigmatisch verklärten Lebensabschnitt der Mutter: ihre Ehe mit dem britischen Geheimagenten und Kommunisten Kim Philby, der nach der Aufdeckung seiner Spionagetätigkeit nach Moskau flüchtete.

Es beginnt mit dem Nachkriegsleben in einem Stadtteil von Ostberlin, in einer ausschließlich von Frauen bewohnten Villa. Litzy Kohlmann ist bereits dreifach geschieden, die Trennung von ihrem gegenwärtigen Lebensabschnittsgefährten steht unmittelbar bevor.

Alles verläuft halbwegs gewöhnlich, bis eines Tages englische Journalisten Haus und Mutter belagern und die perennierenden Fragen über den Spion Kim Philby - Litzys zweiten Mann - der Tochter nicht mehr aus dem Kopf gehen. Das stürmende Treiben der Reporter schwindet, doch das Interesse an der Vergangenheit ihrer Mutter steigt mit wachsendem Alter der Erzählerin. Immer wieder weiß Litzy die längst überfällige, vertraute Revelation zu umgehen: "sie hatte die Fähigkeit, diese Fragen immer ganz beiläufig und ohne, daß ich es richtig merkte, in ein Gespräch über meine Angelegenheiten umzulenken, über die Ballettstunde oder über die Sommer- oder Wintermode."

Auch die späteren, nur der Pflicht entsprungenen Erzählansätze versperren der Unwissenden den Zugang zur Wahrheit. Nur von dem dionysisch ausschweifenden Leben in Paris, hinter dessen Vorhang sich jedoch die "Zeit der Konspiration, der Kassiber, der Treffen mit Kontrolloffizieren und Nachrichtenübergaben" versteckte, erzählt Litzy in verschiedensten Tönen.

Schillernd und tendenziell dialektisch erscheint die Persönlichkeit der Mutter im Kunstlicht der literarischen Biografie - als jüdische Kommunistin mit österreichisch-ungarischer Herkunft, deren meisterhaftes Konversationstalent den Part der umstrittenen Vergangenheit in aporetisches Schweigen hüllt, und deren unsystematisches, chaotisches Vorgehen im Alltäglichen einer akribisch geplanten Flucht aus der DDR gegenübersteht.

Transparenz über die Verwicklung Litzy Kohlmanns in den Spionagefall Kim Philby verschafft "Ein Kapitel aus meinem Leben" kaum. Die Wahrheit darüber bleibt für das Betrachterauge ein blinder Fleck. Im Vordergrund steht der Entwurf eines persönlichen Porträts von Litzy, das die Reminiszenzen dem Ephemeren entreißen soll.

Dabei bildet dieser erst kürzlich erschienene Roman keineswegs das erste (auto-)biografische Werk der gebürtigen Ostberlinerin. Bereits ihr 1999 erschienener Essay-Band "Damals, dann und danach" sowie der Beitrag "Von meinem Urgroßvater, meinem Großvater, meinem Vater und von mir" verweisen auf eine Konstante in der schriftstellerischen Tätigkeit Honigmanns.

Mit ihren Biografien liegt Honigmann ganz im Trend des gegenwärtigen literarischen Geschehens. Verglichen aber mit Thomas Medicus' durch historische Studien gestütztes Werk "Mit den Augen meines Großvaters" (vgl. literaturkritik.de 10/2004) kommt "Ein Kapitel aus meinem Leben" mehr der Gestus eines literarischen, in leichtem Erzählstil gehaltenen Porträts zu. Dabei ist diese (auto-)biografische Ausrichtung am Literaturhimmel nichts weiter als eine Renaissance. Bereits die siebziger Jahre - mit Werken wie Christa Wolfs "Kindheitsmuster", Handkes "Wunschloses Unglück" oder Max Frischs "Montauk" - waren mit dem Etikett "(auto-)biografisches Jahrzehnt" versehen worden und standen symptomatisch für den Rückzug in eine neue Innerlichkeit.

Ähnlich wie Handke zeichnet Honigmann als Beteiligte das Porträt ihrer Mutter aus der Perspektive der dritten, involvierten Person. Nur ist Handkes Biografie ein subtiles Psychogramm, innerhalb dessen der Sohn die Rolle als Randfigur strikt durchhält, während das Porträt über ihre Mutter Honigmann doch manchmal abgleitet (so vor allem während der Pubertätsphase der Tochter) in ein Kapitel aus ihrem eigenen Leben.

Titelbild

Barbara Honigmann: Ein Kapitel aus meinem Leben. Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2004.
142 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-10: 3446205314

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch