Horstmann vs. Coetzee
Ein Härtetest für den Literaturnobelpreisträger
Von Frank Müller
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWas passieren kann, wenn man versäumt, Entscheidendes einzuflechten, zeigt Ulrich Horstmanns Studie über den südafrikanischen Literaturnobelpreisträger J. M. Coetzee. Denn versäumt hat die dem Lorbeerbekränzten mehr als nur wohlwollend gegenüberstehende Coetzee-Kritik nach Horstmanns Dafürhalten so ziemlich alles. Gerade die Passgenauigkeit des Zusammenspiels zwischen verlässlich getakteter Romanproduktion und einer sich in pausenlosen Belobigungen ergehenden "akademischen Durchsetzungsliteratur" erweckt den Verdacht, dass der kampflose Erfolg Coetzees, die rolltreppenhafte Karriere vom Außenseiter zum Liebling des westlichen Kulturbetriebs vielleicht nur deshalb gelang, weil die Stolpersteine, die dabei im Wege lagen, von der internationalen Kritik so beredt verschwiegen wurde. Wo es am hellsten ist, heißt es irgendwo bei Adorno, lauern insgeheim die Fäkalien. Das ist bei Coetzee natürlich nicht anders. Das Werk des Nobelpreisträgers ist von vertrackten Situationen genauso wenig frei wie von heillosen Dilemmata und unüberbrückbaren Widersprüchen.
Diese materialisieren sich unversehens, sobald man sich vor Augen führt, was sich Coetzee bei der Niederschrift seiner Romane immer wieder vorhalten musste, den historischen, literarischen und ästhetischen Kontext nämlich. Glaubt man dem Gießener Anglisten Horstmann, so könnte eine Lektüre, die nicht von vorneherein darauf aus ist, sich kritiklos in die Schlange der Gratulanten einzureihen, ihrem Gegenstand sogar angemessener begegnen als das bisher der Fall war: "Nehmen wir den Proto-Klassiker und Nobelpreisträger beim Wort, so läßt sich nicht nur das Vorhaltungen-Projekt guten Gewissens in die Tat umsetzen, sondern auch der bisherigen Sekundärliteratur eine gewisse Pflichtvergessenheit nachsagen, weil ihre Laudationes, ihr akklamatorischer Tonfall Autor und Werk um die Chance gebracht haben, sich gegen Widerstände zu behaupten. Ein echter Härtetest hat somit noch gar nicht stattgefunden, die Bewährung steht noch aus, und es wäre der Mühe wert, hier die Weichen für ein weniger eingefahrenes Gleis mit Steigungen und Rüttelstrecken zu stellen".
Coetzee jedenfalls, der seinen eigenen Hervorbringungen immer augenzwinkernd distanziert gegenüberstand, hält sein Werk nicht nur für widerstandsfähig genug, er scheint einen Schlagabtausch wie den hier anberaumten gelegentlich selbst herausgefordert zu haben: "Yes, my work is certainly open to attack from right and left, though how vunerable it is we have to see". Schon Horstmanns Erstschlag hat es in sich: Coetzee, der Südafrika 1965 den Rücken kehrt und als Fulbright-Stipendiat auf Kosten jener Hegemonialmächte studiert, die die Rassentrennung bis zum Civil Rights Act toleriert haben, kehrt in den frühen 70ern nach Kapstadt zurück. Anstatt sich aber weiterhin des Afrikaans zu befleißigen, das er von Kindesbeinen an schreibt und spricht, erteilt er dem provinziellen Ideom eine Absage und schlägt sich auf die Seite der herrschenden Marktgesetze. Coetzee setzt fortan auf weltweite Verständlichkeit und schreibt auf Englisch. Auch hat er in einem Akt der Zwangspolitisierung kommentarlos das reproduziert, was von einem Schriftsteller seiner Herkunft erwartet wurde - Schuld-und-Sühne-Literatur nämlich - und damit die einmalige Chance verpasst, als "lebensgeschichtlicher Experte des Dazwischen" in die Vermittlerrolle zwischen Gut und Böse, zwischen emanzipiertes Weißwäschertum und postkoloniale Schwarzmalerei zu schlüpfen.
Auch wenn sich der Anti-Apartheitsautor Coetzee in Fusion und Vernetzung einer partikularen mit einer tendendziell universalen westlichen Literaturgeschichte sowie einem äquilibristischen In-Schach-Halten der beiden Welten innewohnenden Absolutheitsansprüche übt, so funktioniert dieser Stoffwechsel wohl nur deshalb so perfekt, weil die Privilierung und Auratisierung des Dichters innerhalb der burischen Kultur die Möglichkeit zur weiterreichenden politischen Auf- und Ausfälligkeit unterbinden. Trotz spektakulärer Publikations- und Redeverbote blieb die ideologische Reizschwelle für Coetzee unüberwindbar. Die hoch entwickelte südafrikanische Zensur las kurzerhand über seine Unversöhnlichkeit mit dem Apartheitsstaat hinweg. Gleichwohl lässt es Horstmann nicht bei dem Vorwurf einer von jedem (schwarzen) Humor befreiten und sich damit auch von befreiendem Lachen distanzierenden Einseitigkeit bewenden. Gut, Coetzee bleibt fast durchgängig einer internalisierten literarischen Bußfertigkeit verhaftet, doch dies hält ihn auf dem Terrain der Literaturgeschichte(n) keineswegs davon ab, das Geschichtenerzählen und die Leselust zu feiern. Das geschieht keineswegs mit leerem Bauch: Das Einverleiben der modernen Klassiker der Weltliteratur und des Verwurzeltbleiben in der jungen Erzähltradition Südafrikas erspart Coetzee das Schicksal eines ausgemergelten Provinzialismus wie das eines ortlos flottierenden Weltbürgertums.
Nicht anders als sein Interpret, der es mit mehr als zwanzig Bänden "Primärliteratur", darunter auch der apokalyptische Blockbuster "Das Untier" (1983), zwar nicht bis zum Nobel-, aber doch immerhin bis zum Kleist-Preis gebracht hat, bis er der großen Klappe selbst den Riegel vorschob (vgl. literaturkritik.de 07/2005), so gehört auch Coetzee jenen Berufszwittern an, die als "Schriftstellerwissenschaftler" analysierend und theoretisierend mit Texten umgehen, gleichzeitig aber Schöpfer sind, das heißt: Literatur zu Papier bringen. Nichts wäre für Horstmann also einfacher gewesen, als sein eigenes Selbstverständnis: "Ich lasse mich nicht [...] auseinanderdividieren. Wenn ich über Literatur rede, bin ich kein anderer als der, der sie zu Papier bringt, und ich halte diese Personalunion nicht für ein Handicap, sondern für das genaue Gegenteil" getreulich auf den Doppelgänger Coetzee abzuspiegeln, der ganz Ähnliches verlautbart: "People ask me wether I feel any rupture between my life as an academic life as a writer and the answer is: no". Aber weit gefehlt, entpuppt sich die von Coetzee behauptete friedliche Koexistenz von literarischer Tätigkeit und literaturwissenschaftlicher wie literaturgeschichtlicher Praxis bei genauerer Betrachtung doch als nicht unter einen Hut zu bekommende Doppelgesichtigkeit.
Während die Sekundärliteratur Coetzee Deckungsgleichheit und Konformität abkauft, geht unter Horstmanns Analyse das Wunschbild der Eintracht in Stücke: Der Literaturwissenschaftler Coetzee, ganz den tonangebenden postmodernen Dogmen verpflichtet, pfuscht dem Schriftsteller ständig ins Handwerk. Was dabei herauskommt? Waren Horstmann postmoderne Schlüsselkonzepte wie metafiktionale Selbstbezüglichkeit oder das Untergraben von Autorschaft und Autorität immer schon ein Dorn im Auge (vgl. literaturkritik.de 06/2003), so ist es undenkbar, dass er Coetzee das Wegvernünfteln literarischer Primärerfahrung so einfach durchgehen lässt. Und wirklich: Coetzee habe, so heißt es, zumindest bis "Foe" (1986) "Theorieliteratur" hervorgebracht, in der "der Erzähler JMC [...] den nächsten Auftritt des Herrn Professor vorbereiten [darf]". Anschließend beginnt - gottlob - jedoch ein "Entproblematisieren", eine literarische Reorientierung. Zu ihr gehören das Eingeständnis eines rückhaltlosen Ausgeliefertseins an die Kunst und an ihre Spielregeln genauso wie die Absetzbewegung von poststrukturalistischen Paradigmen in das Niemandsland der Geschichten. Die Lektüre der Romane von "Dusklands" (1974) bis "Elisabeth Costello" (2003) zeigt eine von Rückfällen nicht freie, schrittweise Emanzipation, die als "Befreiungsakten gegenüber einem okkupativen theoretischen Bescheidwissen" in "Disgrace" (1999) auch das literarische Umfeld reliteralisiert.
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