Weder eins, noch zwei
Antje Schrupps Essay über Körper, Geschlecht und Politik stellt das „Schwangerwerdenkönnen“ ins Zentrum der Argumentation
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseFrauen können schwanger werden und Männer nicht. So einfach ist das. – Nein, so ist es eben nicht. Menschen können schwanger werden, wie Antje Schrupp in ihrem Essay Schwangewerdenkönnen völlig zu Recht feststellt. Zugegeben, die meisten von ihnen sind Frauen, aber keineswegs alle. Hinzu kommen einige (Trans-)Männer, wie man spätesten seit Thomas Beatie weiß, andere Transsexuelle und manche Angehörigen sonstiger Geschlechter. Auch können bei weitem nicht alle Frauen schwanger werden. Viele können es noch nicht, andere nicht mehr.
Letzteres lässt Antje Schrupp außer Acht, wenn sie feststellt, „etwa die Hälfte“ der Menschen könnten schwanger werden. Für ihre eigentliche Argumentation ist das aber nicht weiter wichtig. Statt zwischen „Männern und Frauen“ unterscheidet Schrupp zwischen „Menschen, die schwanger werden können, und solchen die es nicht können“ oder, wie sie an anderer Stelle sagt, zwischen „Menschen ohne und mit Uterus“. Denn „jeder Körper, egal wie er aussieht (und egal wie seine reproduktive Funktion ist)“, könne „ebenso gut männlich wie weiblich sein“. Darum ergebe „diese Zuordnung keinen Sinn mehr“. Ein Penis könne etwa „genausgut ein weibliches wie ein männliches Genital“ sein.
Schrupps Auffassung geht mit der in der Queertheorie gängigen Vorstellung einher, dass ein Mensch immer das Geschlecht habe, das er sich selbst zuschreibt, unabhängig von seinem biologischen Körper oder kulturellen Übereinkünften. Dass allerdings ist wenig überzeugend, wie leicht deutlich wird, wenn man es auf andere Selbstzuschreibungen überträgt. Denn ein Mensch ist keineswegs immer das, was er glaubt zu sein. Das heißt allerdings ebenso wenig, dass geschlechtlichen Selbstzuschreibungen zuwiderlaufende und gegebenenfalls allgemein anerkannte Fremdzuschreibungen wahr wären. Denn wie Schrupp in anderem Zusammenhang erklärt, ist „nichts im Bereich von Genderdiskursen […] wahr oder falsch“. Daher, so lässt sich anfügen, muss man geschlechtliche Selbstzuschreibungen auch nicht notwendigerweise anerkennen, kann sie aber respektieren.
Doch bleibt von all dem Schrupps Argumentation dafür unberührt, warum an die Stelle der als dual gedachten Geschlechterdifferenz die der „reproduktiven Differenz“ gesetzt werden sollte. Einer ihrer zentralen Gründe liegt darin, dass die dual gedachte Geschlechterdifferenz (wie viele duale Differenzen) hierarchisch gedacht wird.
Tatsächlich bilden die Kategorien Männern und Frauen einen polaren Gegensatz, während es sich bei der von Schrupp bevorzugten Differenz (schwanger werden können / nicht schwanger werden können) um einen kontradiktorischen Gegensatz handelt. An sich ist eine hierarchische Anordnung bei dieser Art Gegensätze weit naheliegender als bei polaren. Denn schließlich mangelt es dem einen Part an etwas, das der andere besitzt. Im Falle des Schwangerwerdenkönnens ist dies eine Fähigkeit, ein Potential. Merkwürdigerweise sind nun aber gerade die Pole polarer Gegensätze aus kulturellen Gründen hierarchisch konnotiert. Die Ursache hierfür liegt im geschlechterhierarchisch organisierten Patriarchat, das ungeachtet seiner weltweit unterschiedlichen „Ausformungen“ überall eines gemeinsam hat: „Unter dem Strich ist es immer so, dass Macht, Geld, Ressourcen und Einfluss bei Menschen zusammenlaufen, die nicht schwanger werden können.“
Schrupp behauptet zwar nicht, „dass Schwangerwerdenkönnen überhaupt nichts mit dem Geschlecht zu tun hätte oder eine ganz genauso männliche wie weibliche Angelegenheit wäre“. Doch indem sie an Stelle der kulturellen Unterscheidung zwischen Männern und Frauen, die biologische zwischen schwangerwerdenkönnen und nicht schwangerwerdenkönnen setzt, wird das scheinbar nur ein Geschlecht betreffende Thema als eine „allgemein menschliche Thematik“ erkennbar.
Nichts mache die doppelte Verbindung zwischen dem Privaten und dem Politischen so deutlich wie die Frage des Schwangerwerdenkönnens. Doch werde das Thema „fast vollständig“ aus dem „politischen Diskurs“ verbannt. Darum sei „die Politikbedürftigkeit des Schwangerwerdenkönnens“ umso drängender.
Ob „jemand schwanger werden kann oder nicht“, sei zwar „eher unbedeutend im Vergleich zu allem anderen, was so ein Menschenleben ausmacht“, doch spiele es „im Alltag vieler Menschen, vor allem aber in dem von Frauen, […] eine bedeutende Rolle“. Die Gründe hierfür sind selbstverständlich gesellschaftlicher Natur. Absicht ihres Essays ist es daher, zur Entwicklung „neuer, freiheitlicherer Narrative“ über das Schwangerwerdenkönnen beizutragen. Gerade weil „Emanzipation und Schwangerwerdenkönnen nicht so recht zusammen passen“, liege die „politische, feministische Herausforderung“ darin, „die Freiheit einer Person und die reproduktive Fähigkeit ihres Körpers in Übereinstimmung zu bringen“.
Schwangerwerdenkönnen, legt Schrupp dar, gehe mit „zwei krassen Verhältnissen der Ungleichheit“ einher. Erstens derjenigen zwischen Menschen, die schwanger werden können (beziehungsweise es im Laufe ihrer Entwicklung einmal werden können oder konnten). Zweitens derjenigen zwischen dem schwangeren Menschen und dem Wesen, mit dem er schwanger ist. Beide Ungleichheiten beruhten zwar nicht auf „ sozialen Übereinkünfte“, sondern seien „biologische Tatsachen“, doch müssten diese „interpretiert werden“. Das ist zweifellos richtig. Doch ließe sich die Zwischenbemerkung einflechten, dass sich nicht nur alles soziale, sondern auch „biologische Phänomene“ grundsätzlich ändern lassen und keineswegs so „unverfügbar“ sind, wie Schrupp meint.
Schwangere Menschen und die Wesen, mit denen sie schwanger sind, sind „nicht eins und nicht zwei“, argumentiert Schrupp im Weiteren überzeugend. Denn im „Beziehungsstatus zwischen Fötus und Schwangerer fallen „Identität und Nichtidentität“ zusammen. Selbstverständlich weiß Schrupp zudem, dass es keine ‚ungeborenen Kinder‘ gibt, sondern ein Fötus erst mit der Geburt zum Kind wird. Der „Zweck“ der „Skandalisierung und Stigmatisierung von Abtreibungen im öffentlichen Diskurs“ sei im Übrigen gar nicht, „ihre Zahl zu verringern“. Vielmehr solle „die Fähigkeit schwanger werden zu können“, weiterhin „mit Unfreiheit verknüpft bleiben“. Demgegenüber macht sich die Autorin für das „Recht auf reproduktive Selbstbestimmung“ stark. Es besagt, nicht nur „dass niemand gezwungen werden darf schwanger zu werden oder eine Schwangerschaft zu Ende zu führen“, sondern auch, dass niemand „daran gehindert werden darf“. Darüber hinaus schließt das Recht Schrupp zufolge mit ein, „dass keine Person, die ein Kind geboren hat, anschließend dazu gezwungen“ oder „daran gehindert werden darf“, sich um es „zu kümmern“.
Schrupps Essay bietet unzählige, interessante und wenig bekannte Informationen rund ums Schwangerwerdenkönnen, vor allem historische und wissenschaftliche. Wer hätte etwa gewusst, dass man Menschen noch 72 Stunden nach ihrem Tod fruchtbare Eizellen und Spermien entnehmen kann. Und wem ist die Ungeheuerlichkeit geläufig, dass 2017 im US-Bundesstaat Arkansas ein Gesetz erlassen wurde, „das dem ‚biologischen Vater‘ sogar dann ein Mitspracherecht bezüglich einer Abtreibung einräumt, wenn er die Frau vergewaltigt hat“?
Schrupps Essay wird von etlichen originellen und anregende Gedankengänge etwa zu Leihmutterschaft und Vaterrechten sowie von differenzierten Argumentationsketten getragen. Dabei ist es auch noch so gut geschrieben, wie man es von der Autorin seit jeher kennt. So erklärt sie selbst noch die diffizilsten theoretischen, sozialen und biologischen Komplexe und ihr Zusammenspiel auf leicht verständliche Weise. Und sie ist klug genug, nicht den Anschein erwecken zu wollen, sie habe auf alle Fragen eine Antwort und für jedes Problem eine Lösung. Nebenbei macht sie noch einen Vorschlag, wie „der Streit zwischen Queer*theorie und traditionellem Radikalfeminismus aus seinem unfruchtbaren Patt zu befreien“ sein könnte. Wichtig wäre ein „gemeinsamer Kampf angesichts der effektiven Frontenbildung der antifeministischen Gegenseite“ allemal. Schrupps Buch über das Schwangerwerdenkönnen ist also in vielerlei Hinsicht erhellend. Gelegentlich plaudert sie allerdings auch einmal aus dem ganz privaten, ja intimen Nähkästchen. Das hätte nicht unbedingt sein müssen.
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