Der Wahnsinn des Bankangestellten

Tom Zürchers „Mobbing Dick“ spielt literarisch höchst eigenwillig mit der Abgründigkeit des vermeintlich Normalen

Von Simon ScharfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simon Scharf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Anfang ist Dick nur zu seinem Arm böse. Er beißt hinein, bis er zum Arzt muss und dieser ihn über den Brillenrand hinweg anschaut und sagt:
Was ist das?
Ein Hund?
Das ist kein Hund.
Nein.

Bereits die ersten Sätze von Tom Zürchers insgesamt absolut bemerkenswertem Roman Mobbing Dick offenbaren die für den Text wesentliche Anspruchshaltung, den doppelten Boden und das Ungefähre, ja, das fast Surreale zum Leitmotiv der Erzählung zu erheben. Denn klar ist schon an dieser frühen Stelle: Der eigenwillige Sprachzugang des Autors – hier im Ansatz erkennbar als deutungsoffener Verzicht auf die Markierungen der wörtlichen Rede – geht in kongenialer Weise mit seinem markanten Erzählgegenstand einher und beherrscht diesen auf künstlerisch höchst ambitionierte Art und Weise: Dies zeigt sich vor allem an der Unmittelbarkeit des Textes im Präsens, der direkten, fast drastischen Fixierung von Handeln und Denken der Figuren ohne jegliche Umschweife sowie der durch den Verzicht auf Redemarkierungen möglichen Mehrdeutigkeit der Stimmenzuweisung. Oft ist deshalb völlig unklar (wie auch oben sichtbar), wer hier eigentlich spricht, denkt oder kommentiert, oder genauer: wo die Grenze verläuft zwischen dem Agieren der Figuren und den Eingriffen des Erzählers höchstselbst. Entsprechend staunend folgt man diesem dynamischen literarischen Erguss mit einer Mischung aus Humor, Zweifel und Nachdenken mit Blick auf die sehr eigene, sich ihrer Grenzen permanent bewussten Sprache, die Zürchers Roman genial und allgegenwärtig steuert.

Erzählt wird folglich auch etwas sehr Eigenartiges, eine ins Surreale, fast Gewalttätige kippende Bildungs-, mehr ironisch gebrochene Aufstiegsgeschichte: Dick Meier, Sohn einer (klein-)bürgerlich anmutenden Schweizer Familie, arbeitet sich an der eigenen Prägung ab und sieht in den Möglichkeiten einer soliden Tätigkeit bei der Schweizerischen Bankanstalt die Zeit seiner eigenen Emanzipation gekommen. Problematisch erweisen sich dabei lediglich die Tatsachen, dass die Eltern sein Streben, von zu Hause auszuziehen, moralisch druckvoll verzögern, und die Bank – in wirtschaftlicher Schieflage und von amerikanischer Übernahme bedroht – sich nicht unbedingt als Hort neuer Glückseligkeiten erweist. Trotz der, gesellschaftskritisch entlarvend dargestellten neuen Position als vermeintlicher „Großverdiener“ (wie seine Eltern stolz mantraartig wiederholen) spielt der Text überaus lustvoll mit dem sukzessiven Scheitern des Protagonisten an den beruflichen Verhältnissen: Vordergründig zeichnet Dicks Perspektive dabei die Schnelllebigkeit des eigenen Aufstiegs, die erfolgreiche Einarbeitungsphase, das lockerleicht wirkende alltägliche Jonglieren mit den verschiedenen Ansprüchen. Die Doppelbödigkeit von Zürchers Sprache jedoch flechtet immer wieder die Schattenseiten der Tätigkeit ein, das zum Spiel degenerierte Mobbing des Protagonisten (der im Roman krampfhaft an der Namensähnlichkeit zu Dick Cheney und der damit verbundenen Autorität festhält und die vulgäre Konnotation ausblendet), die Undurchsichtigkeit der amerikanischen Positionsbezeichnungen sowie das langsame Ausbooten des Kollegen Remo, der fortwährend an die große Karriere nebst Gehaltssprüngen glaubt. So driften die Bilder des häuslichen Stolzes auf den Sohn als Gewinnertypen, der sich auf internationalem Parkett bewegt und unendlich Geld nach Hause bringt, und der harten Berufsrealität, in der Dick zunehmend die Kontrolle verliert, völlig auseinander. Markant und intelligent zugleich ist abschließend Zürchers Schlusswendung, die Dick Meier eine Art Alter Ego entwickeln lässt, mit Hilfe dessen er gewissermaßen gegen den beruflichen Orientierungsverlust aufzubegehren beginnt und seine (vermeintliche) Aufstiegsgeschichte – ohne zu viel zu verraten – an ein furioses Ende führt.

Gerade Zürchers sprachliche Eigenarten, sein „Sound“, lassen die Geschichte zwischen humorvoller Komik, gesellschaftskritischer Drastik und gegenwartsbezogener Dramatik changieren, so dass er in produktiver Weise nicht festgelegt werden kann auf eine bestimmte Orientierung. Auch wenn die Charaktere des Romans oft nur angezeichnet bleiben, lässt doch die Gesamtkulisse und -beschreibung auf eine besondere Sensibilität, ein herausragendes Gespür des Autors für das Abgründige und Mehrdeutige seiner Figuren schließen. Mobbing Dick wirkt am Ende genauso bedrohlich und fies wie ironisch und humorvoll und belegt damit den authentischen und durchaus realistischen Charakter seiner Geschehnisse.

Titelbild

Tom Zürcher: Mobbing Dick. Roman.
Salis Verlag, Zürich 2019.
316 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783906195834

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