Habsucht und Gier als uralte Triebfedern für Mord- und Totschlag

Der venezianische Kult-Commissario Brunetti ermittelt in seinem 28. Kriminalfall auf gewohnt gemächliche und kultivierte Art

Von Barbara TumfartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Tumfart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alle Jahre wieder schafft es die amerikanische Schriftstellerin Donna Leon, ihre treue Leserschaft mit einem neuen Brunetti-Roman zu beglücken und bei Laune zu halten. So auch in ihrem mittlerweile 28. Fall des sympathischen und kultivierten Commissario aus Venedig.

Der gutbetuchte Conte Falier tritt mit einer etwas delikaten Bitte an seinen Schwiegersohn Brunetti heran. Sein langjähriger Freund und ehemaliger Schulkollege Gonzalo Rodríguez de Tejeda plant, einen jungen Mann zu adoptieren. An und für sich kein ungewöhnlicher Vorgang, wären da nicht einige Details, die für den Conte und andere Freunde von Gonzalo besorgniserregend sind. Der 80-jährige steinreiche Galerist Gonzalo ist bekennender Homosexueller, entstammt einer gutbetuchten spanischen Unternehmerfamilie und ist kinderlos. Sein Wunsch-Adoptivsohn ist der etwa 40 Jahre jüngere charmante Attilio Circetti, Marchese di Torrebardo – ein Dauergast in der gehobenen venezianischen Society und seit geraumer Zeit der Liebhaber und Gesellschafter des alten Mannes. Brunetti, dessen Frau Paola die Patentochter von Gonzalo ist und der selbst mit ihm befreundet ist, ist es höchst unangenehm, in dessen Privatleben herumzuschnüffeln. Bedenklich ist allerdings, dass im Falle einer Adoption nach dem Tod Gonzalos sein ganzes, nicht unbeachtliches Vermögen an den jungen Liebhaber fallen würde.

Als Gonzalo bei einem Kurzaufenthalt im Ausland dann völlig unerwartet stirbt, beginnt Brunetti, sich ernsthaft Sorgen zu machen. Hin- und hergerissen zwischen den eigenen latenten Vorurteilen Homosexuellen gegenüber und enttäuscht von dem Verhalten des einst väterlichen Freundes beginnt er im Umfeld des Marchese di Torrebardo zu ermitteln. Dabei hilft ihm einmal mehr seine Liebe zur antiken Literatur, wo parallel zur aktuellen Handlung Themen wie Gier und Habsucht, Machtbesessenheit und Gewaltbereitschaft bereits ihren Niederschlag gefunden haben. Donna Leon braucht allerdings etwa 200 Seiten, bis tatsächlich ein Mord geschieht, eine Langsamkeit, die sich nur wenige Bestsellerautoren leisten können. Aber trotzdem unterhalten diese ersten zwei Drittel des Buches den routinierten Leon-Anhänger mit den üblichen liebgewonnenen Ingredienzen. Sympathische Hauptfiguren gewähren die gewohnten Einblicke in ihr Privatleben, zeitgeschichtlich-kritische Seitenhiebe werden geschickt und fast unauffällig in die Dialoge eingestreut und das pittoresk-kitschige Bild der Touristenmetropole Venedig wird dezent und wiederholt kritisch hinterfragt. Dazu kommen verlockende Einblicke in die gute italienische Küche, die die Erwartungshaltung der Fangemeinde von Donna Leon in üblicher Manier perfekt befriedigen. Der neue Roman wartet somit erneut nicht mit blutigen Exzessen auf und spart an Thriller-Hochspannung sowie actiongeladener Handlung, sondern er ist einmal mehr eine gute und kultivierte Fortsetzung der Romanserie rund um den integren Kult-Commissario Brunetti und seine mittlerweile liebgewonnene Familie und Kollegenschaft.

Titelbild

Donna Leon: Ein Sohn ist uns gegeben. Commissario Brunettis achtundzwanzigster Fall.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Werner Schmitz.
Diogenes Verlag, Zürich 2019.
307 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783257070606

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