Mütter und Ossis: Auf den Weg gebracht zum Selberdenken

Ein Kommentar zur Taschenbuchausgabe von Annegret Stopczyks Buch über "weibliches Philosophieren"

Von Anika WaldorfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anika Waldorf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir sollen selber denken, nicht nach-denken. Besonders "wir Ossis" und "wir Frauen", denn wir haben es durch unsere repressive Vergangenheit doch ganz besonders schwer. Die Autorin selbst hat das Selberdenken auf mühsamen Irr- und Umwegen schon gelernt. Am Ende gelangt sie zu dem Resultat, dass philosophieren sehr weiblich sein kann. Nach Stopczyk muss frau, um "weiblich zu sein", nicht unbedingt ein Kind gebären, aber auf jeden Fall die wesentlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau bewußt erleben lernen. Das Denken in polaren Geschlechtercharakteren wird in diesem Buch geradezu leidenschaftlich zelebriert. "Frausein" ist Natur, Emotionalität, Mythologie - und: "Frausein" fühlt sich schön an, Stopczyk zufolge. Sie nimmt jedenfalls kein Blatt vor den Mund: von ihren ersten Universitätsjahren bis zur detaillierten Beschreibung der Geburt ihres Sohnes dürfen wir Leser alles mitverfolgen. Es gibt sogar ein Foto von Frau Stopczyk, auf dem sie seelig lächelnd ihren Sohn an die Brust drückt.

Vielleicht lautet Stopczyks Plädoyer an uns: Macht euch Gedanken über die Welt - am besten weibliche! Das Buch hat jedenfalls, als es im Frühjahr 1996 erschienen ist, eine Menge Gefühle ausgelöst. Da gab es Kritiken, die Stopczyk faschistoides Gedankengut unterstellten, weil sie in ihrem Buch ganz offensichtlich eine Auffassung von Mütterlichkeit vertritt, die an die Ideologie von Mutterschaft in Nazideutschland erinnert. Zu Vorwürfen dieser Art wie auch zu anderen Rezensionen äußert sich Annegret Stopczyk in einem Nachwort zur Taschenbuchausgabe. Auf die Frage, ob die Betonung der weiblichen Sicht nicht übertrieben sei in heutiger Zeit, lässt die Autorin Zahlen sprechen: z.B. über die Abwesenheit von Frauen im höheren Management. Zudem versucht sie, noch einmal zu verdeutlichen, was ihre "weibliche Philosophie" ausmacht. "Die 'weibliche Sicht' ist meine, weil ich eine Frau bin." So einfach liest sich das bei ihr.

Auf die Kritiken, die Stopczyk in die Tradition der nazistischen Mütterideologie eingeordnet sehen wollen, reagiert sie mit Betroffenheit. Sie beruft sich auf ihre Geschichte, "denn meine Eltern gehören zu den von den Nazis Verfolgten. Für mich ist diese Familientatsache ein ausreichender Schutz gegen eine Identifikation mit den Nazitätern und ihrer Ideologie." Es bleibt dahingestellt, inwiefern Betroffenheit, persönliche Geschichte oder das "mütterliche Gutmeinen" vor Ideologie schützen.

Titelbild

Annegret Stopczyk: Nein danke, ich denke selber. Philosophieren aus weiblicher Sicht.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2000.
300 Seiten, 8,60 EUR.
ISBN-10: 3746680468

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