Männermärchen

Zu Georg Seeßlens Reihe „Grundlagen des populären Films“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Der Western ist das universale Männermärchen“, erklärt Georg Seeßlen in dem diesem Genre gewidmeten Band seiner Reihe „Grundlagen des populären Films“. Das ist so verkehrt natürlich nicht. Ins Auge fällt nun allerdings, dass nicht nur dieser, sondern alle vier Bände der Reihe männlich konnotierten Genres gewidmet sind. Neben dem Western sind dies der Thriller, der Abenteuerfilm und der Detektiv-Film. So könnte die Vermutung naheliegen, dass der Autor ein besonderes Faible für ‚männliche‛ Filme hat. Zumal er vor einigen Jahre als Mitautor eines nahezu enzyklopädischen Werkes zum Science-Fiction-Film hervorgetreten ist. Tatsächlich allerdings weist seine umfangreiche Publikationsliste auch einige Bücher zu ‚weiblichen‛ Genres auf. So befasste er sich etwa schon 1980 unter dem Titel „Kino der Gefühle“ mit dem Melodram.

Die vier hier anzuzeigenden Bände erschienen mehr als 30 Jahre später, nämlich in den Jahren 2011 bis 2013. Drei von ihnen teilen den gleichen zweigliedrigen Aufbau: „Stichworte[n] zum historischen Mythos“ des jeweiligen Genres folgen Ausführungen zu dessen „Geschichte“, wobei der erste Teil jeweils den Charakter einleitender Bemerkungen besitzt. Nur das vermutlich als erster Band der Reihe erschienene Buch zum „Abenteuer“-Film sprengt mit seiner recht uneindeutigen und nicht unbedingt nachvollziehbaren Gliederung dieses sinnvolle Schema. Er setzt ganz unvermittelt mit Darlegungen zu den Sub-Genres Antiken-, Ritter-, Piraten- sowie dem Mantel- und Degen-Film ein. Sodann folgen die beiden Abschnitte „Die letzten Abenteuer“ und „Die Erbschaft des Kolonialismus“. Erst in den abschließenden Kapiteln „1975-1995: Wiedergeburt aus dem Geist der Postmoderne“ und „1995-2012: Abenteuer im Irrealis“ werden explizit chronologische Kriterien für die Anordnung herangezogen.

Die vier Bände der Reihe weisen nicht nur formale sondern auch inhaltliche Gemeinsamkeiten auf. So werden etwa in allen die – meist weder sonderlich positiven noch emanzipatorischen – Frauenbilder des jeweiligen Genres und seine Wandlungen im Laufe der Jahrzehnte beleuchtet. Vergleicht man die diesbezüglichen Entwicklungen der einzelnen Gattungen, lässt sich etwa leicht zeigen, dass die Änderungen der Frauenbilder nicht selten historisch parallel verliefen. So treten beispielsweise starke Frauen, die zugleich positiv gezeichnet werden, in allen vier Genres sicher nicht zufällig im Gefolge der zweiten Welle der Frauenbewegung auf.

Wie von dem ausgewiesenen Filmexperten Seeßlen nicht anders zu erwarten, bietet jeder der vier Bände eine dicht gedrängte Fülle von Details und Informationen, die geradezu überwältigend ist. Das Buch zum Abenteuerfilm etwa wartet mit unzähligen kürzeren und gelegentlich auch mal etwas längeren Anmerkungen zu Verfilmungen des Robin-Hood- und des Tarzan-Stoffes auf. So sind die Bände mithilfe der (im Übrigen uneinheitlich organisierten) Filmregister nicht zuletzt als Nachschlagewerke zu nutzen.

Seeßlens Interpretationen einzelner Filme dringen jedoch nur selten in die Tiefen der vorgestellten Werke vor. Tun sie es jedoch einmal, sind seine Analysen allerdings in aller Regel durchaus plausibel. Einige nette Einfälle, wie etwa den Protagonisten aus „Piraten der Karibik“ als „drastischen Nachfahr“ Peter Pans zu charakterisieren, runden das insgesamt positive Bild ab.

Selbstverständlich können bei solchen Parforceritten durch die Genres aber auch Fehler und Fehlinformationen nicht ganz ausbleiben – zumal wenn sie nicht das Zentrum des Themas betreffen. Dass Seeßlen den englischen Philosophen William Godwin als „ersten Ehemann von Mary Wollstonecraft-Shelley, der Autorin des ‚Frankenstein‛“ vorstellt, ist allerdings ein Schnitzer, der von dem im Gerne des Science-Fiction-Films bewanderten Autor nicht zu erwarten war, auch wenn Godwin und seine Tochter Mary Wollstonecraft-Shelley lebten und starben, lange bevor die Bilder laufen lernten. Tatsächlich verheiratet war Godwin mit der bekannten Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft. Sie verfasste nicht den Roman „Frankenstein“, sondern die noch heute bekannte Streitschrift „Zur Verteidigung der Frauenrechte“. „Frankenstein – oder der moderne Prometheus“ wiederum stammt aus der Feder ihrer ebenfalls Mary genannten Tochter, nach deren Geburt sie 1797 noch im Kindbett starb.

Irrtümer wie der genannte sind zwar ärgerlich, aber dennoch kein Grund, nicht zu Seeßlens insgesamt sehr informierten und darum informativen Büchern zu greifen. Denn in aller Regel erweisen sich seine Darlegungen und Tatsachenbehauptungen als verlässlich.

Titelbild

Georg Seeßlen: Filmwissen: Abenteuer. Grundlagen des populären Films.
Schüren Verlag, Marburg 2011.
368 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783894727048

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Georg Seeßlen: Filmwissen: Detektive. Grundlagen des populären Films.
Schüren Verlag, Marburg 2011.
288 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783894727024

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Georg Seeßlen: Filmwissen: Western. Grundlagen des populären Films.
Schüren Verlag, Marburg 2011.
299 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783894727000

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Georg Seeßlen: Filmwissen: Thriller. Grundlagen des populären Films.
Schüren Verlag, Marburg 2013.
532 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783894727062

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