Mit Mühen, Witz und politischem Sachverstand
Drei Neuerscheinungen zeigen, wie die Frauen vor hundert Jahren das Wahlrecht erstritten
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseZur Zeit des Deutschen Kaiserreichs waren die Rollen im Streit um das Frauenwahlrecht klar verteilt: hier die fortschrittlichen FrauenrechtlerInnen und SozialdemokratInnen, da die konservativen bis reaktionären Herrenrechtler. Wie sich versteht, erstere pro, letztere contra Frauenwahlrecht. Als Skurrilität ist außerdem eine frauenfeindliche Stellungnahme für das Frauenwahlrecht zu verzeichnen. In seiner 1905 erschienen Broschüre Ascona forderte Erich Mühsam nicht nur das Wahlrecht für Frauen. Nein, er wollte sogar eine „Beteiligung des zarten Geschlechts an der Staatsregierung“ sehen. Denn, so die Begründung des misogynen Anarchisten, er könne sich „gar kein geeigneteres Mittel ausdenken“, „um die segensreichen Einrichtungen unserer Centralgewalten in Grund und Boden zu arbeiten“. Nun ja, Erich Mühsam hat in besagter Broschüre in vielerlei Hinsichten eine Menge Unsinn verzapft.
Ganz anders die drei hier anzuzeigenden Bände. Sie sind anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Frauenwahlrechts erschienen und an allen dreien ist Kerstin Wolff beteiligt: am ersten als Mitherausgeberin, am zweiten als Beiträgerin; den dritten, eine Monographie, hat sie allein verfasst. Das ist kein Zufall. Denn Wolff dürfte die beste KennerIn der Materie sein. Sie ist Forschungsreferentin des Archivs der deutschen Frauenbewegung mit eben dem Spezialgebiet des Frauenwahlrechts.
Wolffs reich bebilderte Monographie Unsere Stimme zählt ist ein populär gehaltenes Sachbuch, dessen Kenntnisreichtum besticht. Sie erzählt „die lange Geschichte des Frauenkampfes um das Wahlrecht […] als Kampf um die Einführung der Demokratie“ und erkennt in dessen Erlangung einen „Meilenstein auf dem Weg in die Gleichberechtigung“. Die Vorgeschichte des Kampfes um das Frauenwahlrecht reicht bis zur Französischen Revolution zurück, in der Olympe de Gouges ihre Forderungen nach einer gleichberechtigten Teilhabe der Frauen stellte. In Deutschland war es Louise Otto-Peters, die nach der 1848er-Revolution als eine der ersten ihre Stimme für das Frauenwahlrecht erhob.
Eine Stärke des Buches besteht darin, dass Wolff den Kampf um das Frauenwahlrecht in den Kontext anderer zentraler Aktivitäten der Frauenbewegung stellt. Zudem verbindet sie die Geschichte um den Streit für das Frauenwahlrecht geschickt mit den Biographien seiner wichtigsten Verfechterinnen. Neben Otto-Peters wären das etwa Hedwig Dohm, die mit ihrer Streitschrift Der Frauen Natur und Recht ein „Fanal für das Frauenwahlrecht“ setzte, sowie Helene Lange, Anita Augspurg, Minna Cauer, die Sozialistin Clara Zetkin und nicht zuletzt Marie Stritt.
Zumindest in feministischen Kreisen sind das keine ganz unbekannten Namen. Wer aber hätte schon mal von Etta Palm gehört, die bereits 1790 eine Schrift Über die Ungerechtigkeit der Gesetze, die die Männer zum Nachteil der Frauen bevorzugen veröffentlichte, oder von Louise Dittmar, einer Zeitgenossin und Mitstreiterin von Otto-Peters. Über das Wirken beider Frauenrechtlerinnen lässt sich in dem Buch einiges erfahren.
Aber auch die Positionen der GegnerInnen des Frauenwahlrechts stellt die Autorin vor. Die „vier Hauptargumente“ lauteten: „Erstens: die Frauen brauchen das Stimmrecht nicht. Zweitens: Die Frauen wollen das Stimmrecht nicht. Drittens Sie haben nicht die Fähigkeit, es auszuüben. Und schließlich viertens: Ihr Geschlecht schließt die Frau selbstverständlich von jeder politischen Aktion aus.“
Wolffs Buch endet nicht mit der Erlangung des Frauenwahlrechtes, sondern reicht darüber hinaus. Die beiden abschließenden Kapitel gelten der Weimarer Republik und den ersten deutschen Parlamentarierinnen.
Wenn es etwas an diesem sehr empfehlenswerten Band zu kritisieren gibt, dann vielleicht eine Bemerkung aus dem Vorwort. Das allerdings stammt nicht von Wolff selbst, sondern von Hedwig Richter. Sie meint, dass gerade der Kampf der „gewalttätigen Suffragetten in Großbritannien“ die Ehre erhalten hat, in einem Spielfilm verewigt zu werden, mache das Bedürfnis deutlich, „Demokratiegeschichte als Geschichte des gewalttätigen Kampfes zu erzählen“. Denn es werde „ausgerechnet eine kleine Minderheit unter den Frauenrechtlerinnen in den Fokus der Geschichte des Frauenwahlrechts“ gerückt. Dabei verschweigt sie nicht nur, dass zwei Jahre nach dem Film Suffragetten – Taten statt Worte der allerdings über den deutschsprachigen Raum nicht sonderlich wirkungsvolle Streifen Die göttliche Ordnung über den Kampf um das erst 1971 erlangte Schweizerische Frauenwahlrecht erschien, sondern vor allem, dass der mit Hillary Swank nicht weniger prominent besetzte HBO-Film Alice Paul – Der Weg ins Licht über die US-amerikanischen Suffragetten bereits 2004 die internationale Kinowelt eroberte.
Richtet sich Wolffs Monographie Unsere Stimme zählt an die breite Öffentlichkeit, so zielt der von ihr gemeinsam mit Hedwig Richter herausgegebene Sammelband Frauenwahlrecht eher auf das Fachpublikum. Wolff ist in dem Band mit dem Beitrag „Noch einmal von vorn und neu erzählt“ vertreten, in dem sie die deutsche Geschichte des Kampfes für das Frauenwahlrecht anhand einer Re-Lektüre der Quellen neu aufrollt. In ihrem wie immer kenntnisreichen Text macht sie deutlich, dass sich nicht nur der radikale Flügel der Frauenbewegung für das Frauenwahlrecht einsetzte, während der gemäßigte zögerlich folgte, wie die Forschung lange annahm, sondern dass sie beide, wenn auch mit unterschiedlichen Taktiken, gleichermaßen dafür stritten, dass Frauen wählen dürfen und gewählt werden können. Außerdem zeigt die Autorin, wie es zu dieser Fehlinterpretation kam. Überhaupt lassen sich die „vielen widerstreitenden Meinungen im großen Feld der Frauenstimmrechtsbewegung“ Wolff zufolge nicht auf die Unterscheidung „‚radikal’ oder ‚gemäßigt’“ herunterbrechen. Eine „größere Rolle“ habe vielmehr der jeweilige „(partei)politische Hintergrund der Frauenbewegungsaktivistinnen“ gespielt.
Gemeinsam haben Richter und Wolff für den Band einen einleitenden Text verfasst, der die „Demokratiegeschichte als Frauengeschichte“ interpretiert und die „Revolutionsnarrative“ kritisiert, welche die Geschichte des Kampfes für das Frauenwahlrecht in das jeweilige – natürlich männlich konnotierte – „nationale Erzählmuster von Revolution und Krieg presst“. Tatsächlich aber gelang es den Frauen, „mit Mühen, Witz und politischem Sachverstand“ langsam in den „männlich durchdrungenen Bereich“ des Wahlrechts vorzudringen.
Richter und Wolff zeigen manche unerwarteten Verbindungen und Argumentationsstränge auf, etwa dass die Frauenrechtlerinnen die Notwendigkeit des Frauenwahlrechtes auch mit der großen Anzahl der Männer begründeten, die zuhause ‚ihre’ Frauen verprügelten. Zudem halten die Herausgeberinnen ganz nebenbei noch das eine oder andere heute kurios anmutende Detail über die gesetzliche Umsetzung des erstrittenen Frauenwahlrechtes bereit, in der sich noch immer misogyne Weiblichkeitsvorstellungen Bahn brachen. In Österreich etwa wurden Prostituierte von der Wahl ausgeschlossen. Hätten die Herren Gesetzgeber die Freier mit der gleichen Elle gemessen, wären womöglich nicht allzu viele wahlberechtigte Geschlechtsgenossen übrig geblieben. In Belgien wiederum blieb Müttern von unehelichen Kindern das Recht zu wählen vorenthalten. Malte König weist in seinem Beitrag darauf hin, dass die Ansicht, „für jede Frau gebe es einen Mann, der ihre Interessen im Parlament wahrnehme“, bis ins 20. Jahrhundert hinein in vielen Ländern weit verbreitet war. Gedacht wurde dabei an „Väter, Brüder und Ehemänner“. Marion Röwekamp wiederum merkt in ihrem Aufsatz an, dass in „manchen Ländern“ Frauen das Wahlrecht zwar im Allgemeinen versagt war, da man davon ausging, „dass Ehefrauen prinzipiell durch ihren Mann vertreten waren“. Doch erhielten eben darum Witwen und unverheiratete Frauen einen Sonderstatus zuerkannt und waren wahlberechtigt.
Die Texte des Bandes sind auf die drei Rubriken „Raum“, „Körper“ und „Sprechen“ verteilt. Erstere wird mit dem bereits erwähnten Aufsatz von Kerstin Wolff eröffnet. Beschlossen wird er mit einem ebenfalls hoch interessanten Beitrag von Marion Röwekamp zur „Interdependenz des Frauenwahlrechts und des Familienrechts nach 1918“, in dem die Autorin zeigt, dass „die innere Logik und Verwobenheit des Rechts […] zu einem engen Zusammenhang zwischen dem Familienrecht und dem Wahlrecht“ führt. Schon 1869 wurde auf dem dritten Frauentag der Allgemeinen deutschen Frauenvereine darauf hingewiesen, „dass der Kampf um gleiche Rechte in der Familie“ zwangsläufig „die Forderung nach dem Frauenwahlrecht implizierte“. Denn das misogyne Familienrecht ließ sich nur durch parlamentarische Gesetzesänderungen abschaffen. Daran aber hatten Männer wenig Interesse. Also mussten Frauen in die Parlamente.
Malte König macht in seinem Beitrag über „Frauenwahlrecht und Prostitution“ ebenfalls auf einen nicht unbedingt so erwarteten Zusammenhang aufmerksam. Denn was für die Familiengesetzgebung galt, galt nicht weniger für die gesetzliche Reglementierung der Prostitution. So wurde die „Notwendigkeit politischer Selbstvertretung“ von den Frauenrechtlerinnen auch abolitionistisch begründet. „Die Bedeutung des Faktors ‚Frauenwahlrecht’ innerhalb der Debatte um die Abschaffung der staatlich reglementierten Prostitution“ wird von König anhand der „Entwicklungen in Deutschland, Frankreich und Italien“ untersucht. Nicht weniger als 21 Prozent der zwischen 1894 und 1914 in den Periodika der verschiedenen Strömungen der deutschen Frauenbewegung erschienenen Beiträge behandelten das Problem der Prostitution und die Forderung des Frauenwahlrechts gemeinsam. Da die Prostitution die „Würde aller Frauen“ verletzt, war die staatlich reglementierte Prostitution einer der Gründe der Frauen, sich für ihr Wahlrecht einzusetzen, um die Gesetzgebung zur Prostitution ändern zu können. Nach dem Einzug der Frauen in die Parlamente gelang dies tatsächlich, wenn auch nicht von heute auf morgen, sondern im Laufe einiger Jahre.
Tobias Kaiser eröffnet die zweite Rubrik mit einem Text über „Suffragetten als ‚Eroberinnen’ des politischen Raums“. Sein Gebrauch des Gender-Unterstrichs erscheint nicht immer schlüssig. So redet er etwa stets von „Suffragetten“, spricht aber andererseits von „Suffragistinnen und Suffragisten“ oder von „Suffragist_innen“.
Mitherausgeberin Hedwig Richter zeigt in ihrem Beitrag „Reformerische Globalisierung“, dass die im Verlaufe von nur drei Jahren (1917-1920) in nicht weniger als 17 Staaten erfolgte Einführung des Frauenwahlrechts „das Ergebnis umfassender und struktureller Veränderungen [war], die sich um 1900 weltweit beobachten ließen und intensiv durch gesellschaftliche Reformen vorangetrieben wurden“, die „wesentlich durch Frauen und dabei häufig (nicht immer) durch feministische Frauenbewegungen“ forciert worden waren.
Unter den Beiträgen der dritten Rubrik ist Susanne Schölz’ Aufsatz über Louise Otto-Peters besonders hervorzuheben, die im 19. Jahrhundert „wie keine andere die Formierung der ersten deutschen Frauenbewegung über einen langen Zeitraum mit ihren Ideen und Initiativen geprägt“ habe.
Ein ebenso informativer wie prachtvoller Bildband ergänzt die beiden Bücher von Wolff und Richter, in dem er die Zeit des Streits um das Frauenwahlrecht lebendig vor Augen treten lässt. Er trägt den Titel Damenwahl und ist der Begleitband zu einer gleichnamigen Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt. Wie es einem solchen Begleitband geziemt, ist er mit zahlreichen Abbildungen ausgestattet, die sich als wahre Fundgrube erweisen. Einen Besuch der Ausstellung kann und soll der Band natürlich nicht ersetzen. Wie es in der Natur opulenter Bildbände liegt, ist er leider etwas unhandlich und schwergewichtig.
Nach einem von Familienministerin Franziska Giffey beigesteuerten Geleitwort folgen zahlreiche Textbeiträge, für deren hohe Qualität namhafte Historikerinnen und ausgewiesene Expertinnen in Sachen Frauenbewegung wie Kerstin Wolff, Isabell Rohner, Elke Schüller, Angelika Schaser und Ulla Wischermann bürgen. Die Texte sind in sechs Rubriken untergliedert, die der Chronologie der Ereignisse folgen. Eine von ihnen widmet sich ganz dem Tag, an dem Frauen hierzulande erstmals wählen durften. Es war der 19. Januar 1919. Begonnen aber wird mit den ersten Aufbrüchen der Frauen in die Männergesellschaft des deutschen Kaiserreichs. Sie nahmen bekanntlich schon mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor ihren Anfang und sind in doppeltem Sinne zu verstehen. Denn die Frauen brachen auf, um die Männergesellschaft aufzubrechen. Eine weitere Rubrik gilt der deutschen Frauenbewegung um 1900, ihren Organisationen, Akteurinnen und Aktivitäten. Ihr folgt ein Abschnitt mit Beiträgen über „Frauen im Ersten Weltkrieg und der Revolution“. Beschlossen wird der Band mit der Rubrik „Frauenpolitik in der Weimarer Republik“ sowie mit „Ausblicken“ auf das bundesrepublikanische Grundgesetz und auf Politikerinnen in den beiden deutschen Staaten nach 1945.
Jeder der Abschnitte beginnt mit einem Abbildungsteil und wird mit einem „Biographie-Fenster“ beschlossen, in dem jeweils vier bedeutende Frauenrechtlerinnen der Zeit vorgestellt werden. Viele von ihnen sind als Heroinnen der Frauenbewegung bekannt wie etwa Louise Otto-Peters, Hedwig Dohm. Minna Cauer und Helene Stöcker. Nicht selten haben sie sich über die Frauenbewegung hinaus einen Namen gemacht wie etwa Rosa Luxemburg, Käthe Kollwitz und Elisabeth Selbert. Die Namen anderer sind hingegen fast vergessen. Vielleicht ist es am wichtigsten, gerade an sie zu erinnern: Anna Edinger, Minna Faßhauer und Paula Müller-Otfried.
Mit den hier vorgestellten Bänden liegen drei Bücher zum Kampf um das Frauenwahlrecht vor, die einander prächtig ergänzen, von denen aber auch jeder für sich mit Gewinn zu lesen ist.
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